Allgemeines:
In Zuchtverbänden wird eine einheitliche Auswertung und Beurteilung von Bienenvölkern gefordert. Am Beispiel Sanftmut soll das kurz erörtert werden:
Eine 6 als Höchstbenotung könnte etwa bedeuten „auf Rauch kann bei der Bearbeitung verzichtet werden“ oder “ keine Biene sticht“ oder “keine Biene fliegt auf“ oder, oder, oder…
Für den Praktiker, der Bienenvölker zu allen Jahres- und Tageszeiten in unterschiedlichen Klima- und Trachtzonen bearbeitet, wirken derartige fixe Benotungsschemen oft befremdend. Es mag sein, dass ich mich täusche, aber eine objektive Auswertung von Bienenvölkern nach starren Schemen ist m. E. kaum möglich.
Die Haltungsbedingungen von Bienenvölkern variieren wie in keinem anderen Bereich der Landwirtschaft je nach Jahr, Standort, Kleinklima, landwirtschaftlicher Vegetation, natürlicher Vegetation, Temperaturgefälle, Bodenverhältnisse, Feuchtigkeitsverhältnisse (die wiederum abhängig sind von der jeweiligen Jahreswitterung sowie auch von den örtlichen Bodenverhältnissen). Aber nicht nur die Leistung ist diesen Gegebenheiten unterworfen, sondern im hohen Masse auch eine Reihe anderer Eigenschaften wie z.B. die Sanftmut, das Schwarmverhalten, die Vitalität. Denn selbstverständlich stehen die Vitalität resp. die Krankheitsresistenz von Bienen und Brut in einer direkten Wechselwirkung zum jeweiligen Nahrungsangebot (Pollen und Nektar) aus der Natur sowie den klimatischen Gegebenheiten, der Lebenslage.
Vor diesem Hintergrund soll im Folgenden der Versuch unternommen werden, die gesamte Auslesepraxis nachvollziehbarer werden zu lassen.
1) Vitalität Bienen
Erläuterungen:
Obwohl man aus genetischer Sicht unterscheiden muss zwischen Krankheitsbefall und Lebensschwäche der Einzelbienen des jeweiligen Volkes sind beide Eigenschaften in der Praxis selbstverständlich in hohem Masse gekoppelt. Lebensschwache (Inzucht-) Bienen haben oft auch Krankheitsprobleme während der kritischen Frühlingsphase, in der der Übergang vom Wintervolk zum Sommervolk erfolgt. Ganz anders verhält es sich bei der Anfälligkeit gegenüber Viren. Akute und schleichende Paralysis-Viren können Bienenvölker gerade auch während der Vollentwicklung im Hochsommer befallen. Man erkennt dies in einem plötzlichen Schwund der Volksstärke, gewöhnlich nach der Frühtracht oder während einer Waldtracht. Aus irgendwelchen bisher unbekannten Gründen fördert die Waldtracht anscheinend den Virenbefall, dies ganz besonders während der Phase der höchsten Brutausdehnung. Die Intensität der Brutpflege lässt beim Einsetzen einer intensiven Tracht nach, d.h. das Bienenvolk macht dann in größerem Umfang Bienen frei für die Trachtnutzung. Möglicherweise besteht hier ein zu berücksichtigender Zusammenhang.
Eine neue Dimension des Virenbefalls findet sich auch im Zusammenhang mit der Varroatose. Wir wissen heute, dass unbehandelte Bienenvölker nicht oder kaum an den direkten Schäden der Varroamilben zu Grunde gehen, sondern vielmehr an Sekundärinfektionen, wobei es sich in der Hauptsache um virale Erkrankungen handelt. Befallen werden Brut wie auch die erwachsenen Bienen.
Bewertung:
Bewertet wird das Verhältnis der Bienenpopulation zur aufgezogenen Brutmenge. Dieses Verhältnis stellt somit ein Maß für die Langlebigkeit der Einzelbiene dar. Berücksichtigt wird dabei der Bienenabgang nach einer intensiven Trachtnutzung, sowie das Regenerationsvermögen des Bienenvolkes in der Zeit nach dieser Trachtphase. Zeigen sich unter normalen Verhältnissen irgendwelche sichtbaren Krankheitsanzeichen, wird das Volk sofort deklassiert. Jahres- und standortbedingt muss man bezüglich viraler Erkrankungen differenziert vorgehen (Standort, Waldtracht ja – nein).
Zeigen sich im Spätsommer/Herbst Varroaschäden bei normalem Varroabefall, wird die Sommerbewertung korrigiert.
Zuchtziel:
Das Zuchtziel ist klar: Völker ohne Krankheitsanzeichen.
2) Vitalität Brut
Erläuterungen:
Oft wird behauptet, dass eine geschlossene Brutnestanlage gesunde und vitale Brut bedeute. Das ist nicht immer so. Kranke Brutzellen werden von den Bienen entfernt, sofern sich das Volk hygienisch verhält. Dadurch entstehen zwangsläufig Brutlücken. Und das ist in der Regel ein großer Vorteil, etwa wenn ein Volk, aus welchen Gründen auch immer, z.B. mit Faulbrutsporen in Kontakt kommt.
Im Vordergrund vieler sichtbaren Brutkrankheiten steht die Kalkbrut, ein Pilzbefall, der sofort durch die weißen Mumien im Bodenbrett und am Flugloch ersichtlich wird. Auch Sackbrut (Virus) tritt gelegentlich auf, insbesonders bei hohem Varroabefall. So gibt es beispielsweise kaum ein Bienenvolk, in dem man unter Extrembedingungen (z. B. während der Frühjahrsentwicklung bei starken Kälterückschlägen und Nahrungsmangel im April, oder bei anderen Stressfaktoren, wie z.B. einem hohem Varroabefall oder nach einer Waldtracht) nicht einzelne Fehlbrutzellen finden würde.
Brutlücken entstehen aber nicht nur durch Brutkrankheit, sondern genauso bei Inzucht, durch gleiche
Sexallele sowie durch schwer definierbare Letalfaktoren. Da beides unter Praxisbedingungen kaum voneinander zu unterscheiden ist, können nur sichtbare Brutfehler in die Bewertung einfließen.
Ein Problem stellt sich bezüglich Varroatose: eines der sinnvollsten Auslesekriterien besteht im Ausräumverhalten der befallenen Brutzellen (VSH). Auch dadurch wird das Brutbild löcherig. Man muss folglich den Varroabefall und die vergesellschafteten Brutkrankheiten bei der Beurteilung in Betracht ziehen, ganz besonders in fortgeschrittener Jahreszeit.
Bewertung:
Die Bewertung der Brutnestanlage erfolgt daher logischerweise von Frühjahr bis Sommer, in Phasen der höchsten Brutausdehnung. Die Höchstnote kann nur vergeben werden, wenn auch während kritischer Phasen keinerlei Brutkrankheiten sichtbar sind. Deklassiert wird sofort, wenn bei normal guten Wetter- und Trachtperioden deutliche Brutdefekte sichtbar sind. Bei Reinzucht und Inzucht finden sich gelegentlich Brutnestbereiche, in denen die entwickelte schlüpfreife Brut nicht schlüpffähig ist. Auch hier erfolgt ein Abzug. Im Hochsommer, bei steigendem Varroadruck, ist die Beurteilung aus oben erwähnten Gründen schwierig.
Zuchtziel:
Wie oben, keine sichtbaren Anzeichen von Brutkrankheit. Ausräumen der Zellen bei Schädlingsbefall (Varroa).
3) Sanftmut
Erläuterungen
Mit Recht gilt in unsrer Zeit die Sanftmut als eines der wichtigsten Zuchtziele überhaupt. Das Extrem an Stechlust findet man in Kreuzungen von iberischen oder südfranzösischen Bienen mit der Carnica (alles europäische Bienen). Ob südamerikanische Bienen, die sogenannten Killerbienen, noch stechlustiger sind, sei dahingestellt.
Sanftmut der Bienen erleichtert die Arbeit. Für mich ist Sanftmut, genetisch gesehen, einfach fehlende Stechlust. Aus diesem Blickwinkel stellt sich natürlich die Frage, ob extreme Sanftmut vereinbar ist mit der Abwehr von Parasiten, z. B. der Varroamilben. Die Praxis zeigt: Sanftmütige Bienen können genauso varroatolerant sein wie wilde Stecher und umgekehrt.
Sanftmut ermöglicht zu allen Jahreszeiten eine schnelle Bearbeitung und bleibt das Zuchtziel. Verfolgungswut, wie sie unsere urtümliche Rassengruppe Apis mellifera mellifera in ganz Westeuropa zeigte, besonders bei Kreuzungen der Carnica, oder wie sie etwa bei orientalischen Rassen zu finden ist, wird bei der Buckfast und deren Kreuzungen nicht toleriert.
Erwähnt werden muss auch die Tatsache, dass die Sanftmut großen jahreszeitlichen Schwankungen unterworfen ist und die Abwehrreaktionen eines Bienenvolkes gegenüber Störungen temperaturabhängig sind. Im Frühjahr während der Rapstracht (Spritzzeit in der Landwirtschaft?) verhalten sich alle Bienenvölker wehrhaftiger als im Hochsommer. Gleiches gilt bei kühlen Temperaturen am frühen Morgen, sowie bei Einbrechen der Dunkelheit am Abend. Da die Eigenschaft Sanftmut sehr offensichtlich ist, ist das Zuchtziel auch entsprechend einfach zu erkennen, zu erreichen und zu halten.
Bewertung:
Bewertungsmöglichkeiten gibt es das ganze Jahr über genug. Erste Bewertungen werden auch hier in kritischen Phasen, während der Rapstracht vorgenommen. Diese können später im Jahr korrigiert werden. Für Unruhe auf den Waben während der Bearbeitung des Volkes gibt es Abzüge, genauso bei nervösem Auffliegen von Bienen während der Bearbeitung, und natürlich für Stechlust. Kann ein Volk während der Rapstracht ohne Schleier zügig bearbeitet werden, verdient es eine sehr gute Bewertung.
Werden Völker am frühen Morgen oder generell bei kühler Witterung durchgearbeitet, muss diesem Umstand Rechnung getragen werden.
Zuchtziel:
Schnelle Bearbeitung der Völker zu allen Jahreszeiten, ohne Verfolgungswut der Bienen. Im Sommer bei bienengenehmer Witterung muss dabei auf jegliche Schutzkleidung verzichtet werden können.
3a) Wabenstetigkeit
Erläuterungen:
In Carnica-Zuchtverbänden wird die Wabenstetigkeit gesondert bewertet. Die Eigenart verschiedener Bienenherkünfte, die Waben während der Bearbeitung zu verlassen, sich an Beute, Futterkränze oder Wabenschenkeln aufzuhängen behindert die Bearbeitung der Völker. Die Suche einer Königin kann sich dann als fast unmöglich erweisen. Verschiedene Kreuzungen, besonders die der Carnica mit der Mellifera, zeigen häufig ein derartiges Verhalten. Reine Anatolier-Herkünfte, sowie die reinen Meda-Bienen waren bei uns auch sehr wabenflüchtig. In Kreuzung mit der Buckfast verschwand diese Eigenart beider Rassen bereits in der F2 fast vollständig. Da die Sanftmut und die Wabenruhe der Buckfast sich offensichtlich sehr leicht in Kreuzungen herauszüchten lassen, fließt die Wabenstetigkeit bei der Buckfast in die Bewertung der Sanftmut mit ein.
Verlassen die Bienen bei einer außerhalb der Beute abgestellten Wabe während der Bearbeitung die Brut, kommt es im Frühjahr oft zur Verkühlung gewisser Brutstadien, auf denen sich durch diesen „Stressfaktor„ in der Folge dann Kalkbrut zeigen kann.
Zuchtziel:
Fester Wabensitz geht oft einher mit regelrechtem Festkleben der Bienen an den Waben. Ein Abstoßen der Bienen ist dann fast unmöglich. Wabenstetigkeit ist erwünscht, das Festkleben aber weniger. Hier lohnt es sich zu unterscheiden.
4) Schwarmträgheit
Erläuterungen
Neben dem Ertrag ist wohl keine andere Verhaltenseigenschaft von Jahr zu Jahr derart verschieden wie das Schwarmverhalten. Die Ausprägung dieses Naturtriebes, der eine große Erblichkeit aufweist, ist abhängig von der witterungsbedingten Frühjahrsentwicklung, der Volksstärke, dem örtlichen Trachtangebot, der Betriebsweise und vielem mehr. Die Schwarmlust eines Bienevolkes umfasst aber nicht quantitativ erfassbare Merkmale, wie hin und wieder dargestellt wird. Man kann also nicht einfach die Zahl der angesetzten Weiselzellen in einer bestimmten Saison als Parameter hinstellen. Vielmehr geht es um die Gesamtverfassung des Bienenvolkes, wenn Schwarmstimmung aufgetreten ist. Schwarmlustige Völker setzen rein zahlenmäßig oft nur wenige Zellen an, 10 oder 15, verfallen damit aber gleichzeitig in den Schwarmdusel. Während dieser Lethargiephase stellt das Bienenvolk bekanntlich nahezu sämtliche Aktivitäten wie Nektarsammeln, Brutpflege, Bautätigkeit etc. ein. Solche Völker sind eigentlich nur durch die Wegnahme der Königin (Zwischenableger, Entweiselung u.s.w.) vom Schwärmen abzuhalten. Abgesehen vom Arbeitsaufwand verpassen sie die Frühtracht, bei Folgetrachten ist dann in der Regel nicht mehr die nötige Volksstärke zur Erzielung guter Ergebnisse vorhanden.
Schwarmträge Völker ziehen währen der Schwarmzeit des Öfteren auch Weiselzellen an, arbeiten aber normal weiter. Durch Kontrollen und Ausreißen der Weiselzellen wird dem Schwarmtrieb entgegengewirkt. Meistens sind bei aufgetretener Schwarmstimmung nicht mehr als 2 Kontrollgänge notwendig um einen schwarmträgen Bienenstamm von der Volksteilung abzuhalten.
Grundsätzlich noch folgende Hinweise:
ï Heterosis sowie übermäßige Vitalität der Einzelbiene gehen oft einher mit erhöhtem Schwarmtrieb, aber eben nicht immer.
ï Bei Inzucht kommt der Schwarmtrieb oft ganz zum Erliegen. Handelt es sich um schwarmlustiges Material, ist er sofort in der F1 bei Auskreuzung wieder vorhanden.
ï Offensichtlich sind fruchtbare Bienenvölker leichter zu lenken, wahrscheinlich weil sie ein flexibleres Brutpflegepotential besitzen, und daher weniger schnell an die Grenzen ihrer biologischen Möglichkeiten stoßen.
ï Der Beginn einer noch so geringen (unbemerkten!) Waldtracht setzt jeder Schwarmstimmung ein jähes Ende (was in der Bewertung sehr oft zu Fehlinterpretationen führt!).
ï Regional ist die Ausprägung der Schwarmlust von Bienenvölkern sehr verschieden. Was diesbezüglich in Österreich oder in Süddeutschland als schwarmträge gilt, kann anderswo (bei pollenintensiver Tracht?) absolut gegenseitige Verhaltensweisen zeigen. Diese Aussage gilt für alle Bienenrassen.
Bewertung:
Völker ohne oder mit unwesentlichen Schwarmanzeichen kann man nur gut und sehr gut benoten. Richtig zu differenzieren gelingt aber nur in Jahren mit erhöhtem Schwarmtrieb, weil dann alle Varianten und Stufen deutlich in Erscheinung treten. In Jahren mit wenig oder kaum Schwarmtrieb werden Völker, welche dennoch deutliche Tendenzen über längeren Zeitraum zeigen, deklassiert. Damit scheiden sie aus der Zucht aus.
Wie bei keiner anderen Eigenschaft, muss man zwischen den verschiedenen Ständen unterscheiden. Die Gesamtsituation des Standes und eventuell der Region ist zu erfassen, um daraus Schlüsse für das Einzelvolk zu ziehen. Offensichtlich spielt der Schwarmtrieb in südlicheren Ländern, eine weit geringere Rolle als in nördlichen Regionen sowie im Mittelgebirge.
Zuchtziel:
Der Vermehrungstrieb (Schwarmtrieb bei der Biene) ist ein Urtrieb jedes Lebewesens. Diesen abzustellen wäre unnatürlich und ist wohl unmöglich. Das Zuchtziel besteht in einer leichten Lenkbarkeit des Schwarmtriebes ohne notwendige Schröpfung und Umgruppierungen des Brutnestes. Schwarmdusel darf in den Völkern dabei nicht auftreten.
5) Fruchtbarkeit
Erläuterungen:
Die Fruchtbarkeit, die sich auf die aufgezogene Brutmenge bezieht, entspringt der Wechselwirkung der Eiablagefähigkeit der Königin und der Brutbereitschaft der Ammenbienen. Sie stellt einen indirekten Leistungsparameter für das Bienenvolk dar, denn sie bestimmt weitgehend, und zwar zusammen mit der Vitalität und Langlebigkeit der Einzelbiene, die erzielte Volksstärke. Starke Völker tragen tendenziell mehr Honig ein, sind auch ansonsten pflegeleichter (weil stressunempfindlich) und bieten dem Imker mehr Möglichkeiten in der Völkerführung. Ultrafruchtbarkeit bedeutet sehr oft Kurzlebigkeit der Einzelbiene, aber nicht immer (Br. Adam). Unklar beantwortet ist derzeit die Frage, ob sehr fruchtbare Völker mit Varroamilben zurechtkommen können, da eben der gesamte Brutumsatz, auf den sich die Varroamilben bei ihrer Vermehrung stützen, in solchen Völkern erhöht ist. Dies zeigt sich in einem tatsächlich höheren Befall starker Völker. Andererseits vertragen diese aber auch sehr viel mehr Milben als schwache Völker, und besitzen zudem ein besseres Regenerationsvermögen. Wichtiger scheint daher die Brutdauer eines Volkes zu sein. Wichtig ist eine möglichst ausgedehnte Brutpause über den Herbst und Winter.
Bewertung:
Bewertet werden muss sowohl die Anzahl der Brutwaben, wie auch die Ausdehnung der Brutflächen auf der Wabe selbst. Höchstbenotung bekommen Völker, bei welchen die Brutausdehnung im Mai/Juni 9 bis 10 Dadant-Waben erreicht, und deren Brutnest nur unwesentlich durch Honigablagerungen in dieser Zeit eingeengt ist. Letzteres ist natürlich trachtabhängig. Zudem fließt die Aufrecherhaltung des Brutmaximums in die Bewertung mit ein. Im Juli erfolgen daher oft Korrekturen der im Mai/Juni erhobenen Werte.
Zuchtziel:
Das Zuchtziel besteht in einem Kompromiss zwischen ausreichender Fruchtbarkeit und einer Reihe anderer Faktoren, wie z.B. Langlebigkeit der Einzelbiene, Brutrhythmus, und Varroatoleranz, welche den Entwicklungsablauf sowie die Leistung des Bienenvolkes bestimmen und mit der Fruchtbarkeit in Wechselwirkung stehen. Fruchtbare Völker sind in der Regel leichter zu lenken und zu führen. Sie bieten dem Imker dazu bessere Möglichkeiten und sind ertragreicher.
6) Frühjahrs- und Sommerertrag
Erläuterungen:
Im Ertrag spiegelt sich – sofern die Natur mitspielt – das Zusammenspiel aller leistungsbezogenen Faktoren wider. Ertragsfähigkeit selbst ist nicht eine Komponente, die züchterisch direkt zu beeinflussen ist. Wir müssen uns vielmehr auf indirekte Parameter verlassen. In den vorhergehenden Abschnitten wurden die wesentlichen bereits angesprochen, wie Krankheitsfestigkeit, Vitalität, Schwarmträgheit und vor allem auch Fruchtbarkeit. Hinzu kommen natürlich die schwerer definierbaren Eigenschaften wie Fleiß und Findigkeit der Sammelbienen sowie deren Flugkraft. Diese machen aber letzten Endes, besonders während der Sommertracht, die Ertragsunterschiede aus.
Bewertung:
Erträge lassen sich zwar genau messen, aber nicht von Stand zu Stand übertragen, auch nicht auf wenige Kilometer. Standesmittelwerte wären die Lösung. Mit wenigen Völkern ist ein Standort allerdings kaum repräsentativ bezüglich Zuchtmaterial des Betriebes bzw. der Zuchtgruppe. Drei zufällig schlechte Völker auf einem Stand lassen Mittelmäßigkeit zum Spitzenwert hochschießen und umgekehrt. Damit die Errechnung von Standesmittelwerten einen Sinn ergeben würde, bedürfte es 30 bis 40 Völker pro Berechnungsbasis (in diesem Fall Stand).
Interessanter sind die Gruppenmittelwerte über alle Stände. Diese sollen denn auch errechnet werden.
8 bis 12 Völker verschaffen in der Praxis einen Überblick über die Trachtverhältnisse auf dem Stand. In der Regel bietet sich folgendes Bild: 1 oder 2 Völker heben sich deutlich ab, sie erhalten eine gute/sehr gute Benotung. Deutlich abfallende Völker werden deklassiert . Der Rest ist Mittel. Erfasst wird bei jeder Ernte.
Zuchtziel:
Das Zuchtziel bedarf keiner Interpretation. Selbst aus ökologischer Sicht kann man keine begründeten Bedenken gegen Höchstleistungen bei Bienenvölkern einwenden. Höchstleistungen bei Bienenvölkern stellen das „harmonische Zusammenspiel aller leistungsbezogenen Elemente“ dar (Br. Adam), inklusive dem der Trachtpflanzen und den klimatischen Gegebenheiten. Das Zuchtziel besteht aber nicht einseitig in der Erzielung absoluter Höchstleistung, sondern der Arbeits- und Zeitaufwand pro Bienenvolk bestimmt genauso die tatsächliche Betriebsleistung mit. Ein konkretes Beispiel: Die Kapazität einer Imkerei wird entschieden bestimmt durch die Arbeitsspitze, verursacht durch das Schwarmverhalten der Völker. Ist Höchstleistung, etwa durch eine übermäßige Vitalität der Einzelbiene, gekoppelt an einen nicht zu bewältigenden Schwarmtrieb, so kann diese sich als unwirtschaftlich erweisen. Abgesehen von dem nicht zu bewältigenden Arbeitspensum kann nämlich Schwarmdusel im entscheidenden Moment auch erhebliche Ertragseinbußen verursachen. Dies gilt auch, obwohl solche Völker, nach arbeitsintensiven Eingriffen, in Spättrachten Höchsterträge bringen können.
7) Wirrbau
Erläuterungen:
Die Neigung alle Waben der Nisthöhle mit Wachsbrücken zu stabilisieren hat in der Natur ihre Berechtigung. In modernen Bienenkästen ist sie überflüssig und behindert die Arbeit und bedeutet viele zerquetschte Bienen. Diese lästige Eigenschaft lässt sich durch konsequente Auslese relativ gut abstellen. Bei Auskreuzung sowie bei unkontrollierter Standbegattung geht sie aber schnell wieder verloren. Stehen Völker in einer guten Tracht unter Raummangel, wird selbstverständlich von allen Bienen jeder freie Raum verbaut und mit Nektar gefüllt. Dieser Notbau und die Neigung zum spontanen Verbauen darf man nicht verwechseln.
Bewertung:
Zweckmäßig bewertet man nicht bei Volltracht, sondern eher bei mäßiger Tracht und in Trachtpausen. Höchstbenotungen bekommen Völker, welche trotz guter Tracht am Absperrgitter keine und zwischen den Honigräumen kaum Wachsbrücken errichten. Deklassiert werden Völker, welche trotz ausreichend Raum und Baugelegenheit und scheinbar ohne Grund, das Absperrgitter und die Beutenzwischenräume mit Wachbrücken belegen.
Zuchtziel:
Völker, welche bei richtiger Beutenkonstruktion am Absperrgitter und zwischen den Zargen keinerlei Wildbau errichten, lassen sich nicht nur schnell bearbeiten, auch das lästige, ethisch und ästhetisch verwerfliche Bienengequetsche entfällt vollständig. Der Buckfast-Stamm ist der einzige bekannte Bienenstamm, bei dem bezüglich dieser Eigenschaft überhaupt eine Auslese erfolgt. Entsprechend hoch liegt das Zuchtniveau im Vergleich zu anderen Zuchtrassen.
8) Propolis
Erläuterungen:
Im Bienenvolk wirkt die Propolis bekanntlich keimhemmend. Es benötigt eine gewisse Menge Propolis, um damit unzugängliche/unkontrollierbare Stellen der Behausung zu verschließen, sowie um den gesamten Wabenbau laufend zu „sterilisieren“. Bei der Bearbeitung von Bienenvölkern ist Propolis aufgrund seiner klebrigen Beschaffenheit störend, besonders bei kühler Witterung. Aus Kleidern sind Propolisflecken nicht mehr zu entfernen.
Im Propolissammeln verhalten sich die Bienenvölker verschieden. Einige Rassen, z.B. die Anatolier, sammeln das ganze Jahr über enorme Mengen. Die dunkle Biene sammelt zwar ähnlich viel, aber erst ab Spätsommer. Die Carnica verwendet im Laufe der Saison eher ein Gemisch aus Wachs und Propolis, im Spätsommer erst reine Propolis.
Bewertung:
Völker, welche vor der Einwinterung (August) bereits größere Mengen an Propolis sammeln, werden schlecht benotet. Im September/Oktober, bei der Abnahme der Futtertröge bietet sich eine weitere gute Gelegenheit, die Völker eines Standes miteinander zu Vergleichen.
Zuchtziel:
Die absolute Unterdrückung des Propolissammeltriebes wäre unnatürlich und für das Bienenvolk gewiss schädlich. Entsprechend trachten wir nach einem eher verhaltenen Sammeltrieb, der sich vor allem vor Ende der Saison kaum bemerkbar macht. Idealvölker entfernen im Frühjahr (manchmal auch im August) einen Großteil der Propolis von den Rähmchen („hobeln“ des Beuteninnenraumes).
9) Überwinterung
Erläuterungen:
Die Umweiselung der Ertragsvölker erfolgt in unserem Betrieb im September / Oktober oder auch im März/April. Sämtliche überdurchschnittlich guten Königinnen verbleiben aber vorerst auf den Ständen in den Ertragsvölkern. Die Überwinterung und die Frühjahrentwicklung sind wichtige Auslesekriterien. Nach erfolgter Überwinterung werden die besten dieser Königinnen bei Beginn der Frühtracht mitsamt zwei Brutwaben und einer Deckwabe zum Zuchtstand gebracht. Sie dienen dort als Zuchtmütter.
Bewertung:
Mittels Waage werden alle unsere Völker Ende September auf ein einheitliches Gewicht gebracht. Im Januar wird auf den Ständen generell eine Totenfallkontrolle durchgeführt. Ein besonderes Augenmerk haben hier natürlich Völker mit potentiellen Zuchtmüttern. Im zeitigen Frühjahr wird die Zehrung im Vergleich zur Volksstärke bewertet. Völker, welche zu übermäßiger Winterbrut neigen vergeuden bekanntlich ihre Volkssubstanz. Unter Volkssubstanz verstehe ich nicht nur die Bienen, sondern genauso die Vorräte an Pollen und Futter. Im günstigsten Fall kann Winterbrut einhergehen mit übergroßer Volksstärke nach der Überwinterung und Futtermangel, im ungünstigen Fall aber in der Folge mit Anzeichen von Faktorenkrankheiten, z.B. Nosematose (Siehe auch unter 1) Vitalität Bienen).
Zuchtziel:
Möglichst ausgedehnter Brutstopp, sparsamer Umgang mit der Volkssubstanz in der inaktiven Zeit. Honigraumreife ab Ende April ohne jede Verstärkungsmaßnahmen oder sonstige Manipulation.
10) Varroabefall
Erläuterungen:
Die Zucht auf verbesserte Varroatoleranz macht Fortschritte. Die Grundlagenforschung bezüglich dieses Parasiten bringt Jahr für Jahr neue Erkenntnisse. Weltweit bemüht man sich derzeit um den Aufbau von Arbeitsgruppen „Varroatoleranzzucht“. Tatsächlich gibt es Lichtblicke. Die Prüfung verschiedener Zuchtstämme zeigt deutliche Unterschiede in der Befallsentwicklung sowie in der Überlebensfähigkeit. Ab einem bestimmten Niveau an Varroaverträglichkeit können weitere Zuchtfortschritte nur mittels Überlebenstests erzielt werden.
Bewertung:
Nach der Behandlung im August jeden Jahres, muss der Abfall an Milben abgeschätzt und die Völker pro Stand benotet werden. Interessant sind m.E. Völker, welche bei hohem Brutumsatz einen geringen oder nur mäßigen Befall aufweisen. Genauso interessant sind Völker, welche bei hohem Invasionsdruck von außen (durch unbehandelte Völker in der Umgebung) und bei darauffolgend starkem Eigenbefall keinerlei Anzeichen von Sekundärinfektionen zeigen.
Von den im Jahr 2000 eingeleiteten Überlebenstests kommen stets Königinnen zur Vermehrung, welche ohne Behandlung in einwandfreiem Gesundheitszustand überleben.
Potentielle Zuchtvölker werden ebenso wie Drohnenlinien für die Besamung außerdem mittels Brutausräumverhalten (Hygtest) miteinander verglichen. Ein weiterer konkreter Schritt ist die Auslese auf VSH, (Varroa Sensitive Hygienic). Besonders amerikanische Forscher haben sich diesbezüglich hohe Verdienste erworben. Nach intensiven Tests und Versuchen der Arista Stiftung ist VSH in vielen Buckfastlinien vorhanden und muss durch Auslese intensiviert werden. Die Kombinationszucht gewinnt hier eine neue Dimension. Ziel ist es auch, genetische Marker für VSH und SMR zu finden. Erst hierdurch wird die Züchtung resistenter Bienen die notwendige breite Basis erfahren, weil dann größere Populationen vorgeprüft werden können
Zuchtziel:
Das langfristige Zuchtziel ist klar: Völker, welche ohne Behandlung überleben.
Schlussbemerkung:
Ich hoffe mit diesen Zeilen einen Beitrag zum besseren Verständnis der Auslese von Bienenvölkern geleistet zu haben. Mit einer ständigen Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis werden wir uns wohl oder übel abfinden müssen. Die Auslese von Bienenvölkern ist komplex und für Außenstehende oft nicht transparent. Das eigentliche Problem besteht in der Tatsache, dass man in der Auslesepraxis von Bienenvölkern zu keiner sinnvollen Norm kommt. Je mehr man die Zusammenhänge zu verstehen sucht, je komplizierter und verwirrter wird die Materie. Selbst dann, wenn man, wie hier, populationsgenetische und biogenetische Aspekte der Züchtung, vorerst außen vor lässt.
Eine seriöse Zuchtauslese bedingt vor allem die exakte Erfassung des Phänotyps und der Lebenslage der einzelnen Völker (und Linien) des jeweiligen Bestandes oder Betriebes. Dies wiederum setzt voraus, dass regelmäßig und konsequent der ganze Bestand durchgearbeitet und bewertet wird und zwar durch ein und dieselbe Person. Dem menschlichen Aufnahmevermögen sind aber Grenzen gesetzt. Diese Grenzen stellen eine der Schranken dar, denen jeder seriös geführte Zuchtbetrieb unterliegt. Auch an diese Tatsache werden wir uns gewöhnen müssen.
Paul Jungels Überarbeitung 26. 2. 2015